LArbG Berlin-Brandenburg 10. Kammer, Urteil vom 01.03.2018 - 10 Sa 1507/1716.07.2018

Wird eine Kündigung in zeitlichem Zusammenhang mit einer Arbeitsunfähigkeit ausgesprochen, spricht der Beweis des ersten Anscheins für diesen Zusammenhang. Diesen Zusammenhang muss der Arbeitgeber nachvollziehbar widerlegen.

Tenor

I.

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Cottbus vom 5. Oktober 2017 - 12 Ca 10035/17 - wird zurückgewiesen.

II.

Die Kosten der Berufung trägt der Beklagte.

III.

Der Gebührenwert des Berufungsverfahrens wird auf 1.192,77 EUR festgesetzt.

IV.

Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand

Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlungsansprüche über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus und dabei über die Frage, ob dem bei der Klägerin versicherten Arbeitnehmer wegen einer Arbeitsunfähigkeit gekündigt worden ist.

1.

Der Beklagte betreibt einen Fuhrbetrieb mit einer eigenen Werkstatt zur Reparatur der betriebseigenen LKWs. Der Beklagte und der Arbeitnehmer Detlef D. vereinbarten am 27. Mai 2016 einen Arbeitsvertrag für ein unbefristetes Arbeitsverhältnis als „Schlosser“ mit einem Tätigkeitsbeginn ab 1. Juli 2016 sowie einer dreimonatigen Probezeit, also bis zum 30. September 2016. Die Tätigkeit wurde wie folgt beschrieben:

Der Mitarbeiter wird als Schlosser für alle im Unternehmen betriebenen Verkehre eingestellt. Sein Aufgabengebiet umfasst auch alle Nebenarbeiten einschließlich der Fahrzeugpflege. Der Mitarbeiter ist verpflichtet, vorübergehend auch andere Tätigkeiten auszuüben.

Weiter heißt es in dem Vertrag:

Mündliche Nebenabreden haben keine Gültigkeit.

Ob die Parteien des Arbeitsverhältnisses dennoch eine mündliche Nebenabrede getroffen hatten, dass der Kläger einen Lehrgang zur Grundqualifikation für Berufskraftfahrer absolviere, ist zwischen den Parteien streitig. Jedenfalls trägt der Beklagte vor, dass man sich bei Vertragsschluss einig gewesen sei, dass der Arbeitnehmer D. sich bis zum Beginn des Arbeitsverhältnisses am 1. Juli 2016 zu einem hierfür erforderlichen Lehrgang anmelde und dieses dem Beklagten nachweise.

Der Arbeitnehmer D. trat seinen Dienst bei dem Beklagten am 1. Juli 2016 an, ohne einen solchen Lehrgang besucht zu haben. Unstreitig benötigte der Arbeitnehmer D. einen solchen Lehrgang nicht für die Ausübung seiner Tätigkeit. Es hätte allenfalls im Einzelfall Diskussionen über etwaige Ordnungswidrigkeiten reduziert. Nach dem ergänzenden Vortrag in der Berufungsverhandlung sollte der Kläger auch LKWs im Austausch zu verschiedenen Baustellen fahren.

Ab Montag, dem 18. Juli 2016 erkrankte der Arbeitnehmer D. arbeitsunfähig. Die Arbeitsunfähigkeit wurde wohl ursprünglich bis einschließlich dem 25. Juli 2016 bescheinigt. Am 26. Juli 2016 wurde eine Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit bis voraussichtlich zum 12. August 2016 festgestellt. Nach dem vom Beklagten bestrittenen Vorbringen der Klägerin hat der Arbeitnehmer D. den Betrieb des Beklagten am 26. Juli 2016 davon telefonisch in Kenntnis gesetzt.

Am 26. Juli 2016 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 10.8.2016.

Die klagende Krankenkasse macht gegenüber dem Beklagten aus übergegangenem Recht gemäß § 115 Abs. 1 SBG X i. V. m. §§ 8 Abs. 1 Satz 1, 3. Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 EFZG Anspruch auf Erstattung des an den Arbeitnehmer D. in rechnerisch unstreitiger Höhe von 1.192,77 EUR gezahlten Krankengeldes geltend, da sie davon ausgeht, dass die Kündigung aufgrund der fortgesetzten Arbeitsunfähigkeit des Herrn D. erfolgt sei.

Der Beklagte erwidert, dass die Kündigung aufgrund einer Schlechtleistung des Herrn D. am 14. Juli 2016 sowie dem trotz mehrfacher Erinnerung unterlassenen Erwerb der Grundqualifikation als Berufskraftfahrer erfolgt sei. Der Arbeitnehmer D. habe am Donnerstag, dem 14. Juli 2016 an einem LKW mangelhaft gearbeitet. Eine nach einer TÜV-Untersuchung erforderliche Bremsenreparatur habe er unzureichend erledigt, so dass bei einer Wiedervorführung am 14. Juli 2016 erneut Mängel festgestellt worden seien, die dann von einem anderen Arbeitnehmer (Markus Redlich) abgestellt worden seien.

Mit Urteil vom 5. Oktober 2017 hat das Arbeitsgericht der Klage entsprochen. Der Beklagte habe das Arbeitsverhältnis mit Herrn D. aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit gekündigt. Selbst wenn der Beklagte von der fortgesetzten Erkrankung ab dem 26. Juli 2016 noch nichts gewusst haben sollte, habe er nicht die nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts erforderliche 3-Tages-Frist abgewartet. Das 12tägige Zuwarten zwischen der Schlechtleistung und der Kündigung habe der Beklagte nicht erklären können. Auch die Unterlassung des Erwerbs der besonderen Kraftfahrerqualifikation scheide nach Ansicht des Gerichts als alleiniger Grund aus. Zumindest sei die Arbeitsunfähigkeit des Herrn D. mitursächlich für die Kündigung gewesen.

Gegen dieses dem Beklagten am 20. Oktober 2017 zugestellte Urteil legte dieser am 15. November 2017 Berufung ein und begründete diese am 20. Dezember 2017. Zur Begründung führte er aus, dass das Arbeitsgericht die Darlegungs- und Beweislast fehlerhaft eingeschätzt habe. Diese läge bei der Klägerin. Der Beklagte habe noch innerhalb der Probezeit gekündigt. Sinn der Probezeit sei es zu prüfen, ob ausreichend Qualifikation des Arbeitnehmers gegeben sei, verbunden mit einem Engagement für das Unternehmen, gegebenenfalls auch durch Erwerb von Weiterbildung und Qualifikationen. Die Schutzfunktion der Probezeit werde umgangen, wenn die Darlegungslast so hoch angesiedelt werde. Die Stelle des Klägers sei fast drei Jahre unbesetzt gewesen. Er habe dafür händeringend Personal gesucht. Deshalb müsse man einem Arbeitgeber auch eine Zuwartens- und Überlegenszeit vor Ausspruch der Kündigung zubilligen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Cottbus vom 5. Oktober 2017, Az. 12 Ca 10035/17 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin erwidert, dass es dem Beklagten nicht gelungen sei, den Anscheinsbeweis des Zusammenhangs zwischen Arbeitsunfähigkeit und der Kündigung des Klägers zu widerlegen. Die mangelnde Fachkenntnis und die behauptete Schlechtleistung sowie die Qualifikationsvereinbarung würden ausdrücklich bestritten. Diese sei vor Ausspruch der Kündigung gar nicht thematisiert worden. Auch für die Wartezeit von 12 Tagen gebe es nach wie vor keine plausible Erklärung.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den vorgetragenen Inhalt der Berufungsbegründung des Beklagten vom 20. Dezember 2017 ebenso wie auf den vorgetragenen Inhalt der Berufungserwiderung der Klägerin vom 1. Februar 2018 sowie das Sitzungsprotokoll vom 1. März 2018 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe

I.

Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung des Beklagten ist form- und fristgerecht im Sinne der §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 Zivilprozessordnung (ZPO) eingelegt und begründet worden.

II.

Die Berufung ist aber nicht begründet.

Im Ergebnis und auch in der Begründung ist keine andere Beurteilung als in erster Instanz gerechtfertigt. Das Landesarbeitsgericht folgt dem Arbeitsgericht Cottbus hinsichtlich der Begründung und sieht insoweit gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG von einer nur wiederholenden Begründung ab. Die Angriffe der Berufung sind nicht geeignet, die Rechtslage anders zu beurteilen.

1.

Grundsätzlich endet die Pflicht zur Entgeltfortzahlung für den Arbeitgeber mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses. Das gilt nach § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG nur dann nicht, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis „aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit“ kündigt.

Es genügt, wenn die Kündigung ihre objektive Ursache und wesentliche Bedingung in der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers hat und den entscheidenden Anstoß für den Kündigungsentschluss gegeben hat. Es muss die Arbeitsunfähigkeit nicht alleiniger Grund für die Kündigung sein, sie muss nur Anlass zum Ausspruch der Kündigung gewesen sein. Sie muss mithin den Kündigungsentschluss als solchen wesentlich beeinflusst haben (BAG, Urteil vom 17.4.2002 – 5 AZR 2/01).

2.

Darlegungs- und beweispflichtig für eine solche Anlasskündigung ist der Arbeitnehmer bzw. im Falle des Forderungsübergangs wie hier die klagende Krankenkasse. Indessen kommt ihr regelmäßig der Anscheinsbeweis zugute, wenn die Kündigung in zeitlich engem Zusammenhang zur angezeigten Arbeitsunfähigkeit ausgesprochen worden ist. Eine Anlasskündigung ist mithin zu vermuten, wenn sie in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem zeitlichen Eintritt der Arbeitsunfähigkeit erfolgt (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16. März 2006 – 6 Sa 801/05 und LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 6. Februar 2014 – 5 Sa 324/13).

Selbst wenn der Beklagte bei Ausspruch der Kündigung vom 26. Juli 2016 noch nicht gewusst haben sollte, dass die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers D. über den 25. Juli 2016 hinaus fortdauern würde, geht dieses zu Lasten des Beklagten. Der Arbeitgeber hat nach dem Ende der zunächst bescheinigten Dauer der Arbeitsunfähigkeit noch drei Tage abzuwarten, ob der Arbeitnehmer ihm die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit anzeigt (vgl. BAG, Urteil vom 29. August 1980 – 5 AZR 1051/79). Macht er das nicht, kann er sich nicht darauf berufen, dass er keine Kenntnis von der Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit hatte, sondern wird so behandelt als hätte er von der Fortdauer gewusst (vgl. BAG, Urteil vom 29. August 1980 – 5 AZR 1051/79).

3.

Der Arbeitnehmer D. war bis zum 25. Juli 2016 arbeitsunfähig erkrankt. Entweder wusste der Beklagte, dass die Arbeitsunfähigkeit fortdauern würde oder er wusste es nicht, hat dann aber in jedem Fall nicht die nach der Rechtsprechung des BAG erforderlichen drei Tage abgewartet, ob die Arbeitsunfähigkeit fortdauern würde. Deshalb spricht der Beweis des ersten Anscheins jedenfalls dafür, dass die Kündigung vom 26. Juli 2016 zumindest mitursächlich durch die Arbeitsunfähigkeit des Herrn D. begründet war.

4.

Spricht somit für den Vortrag der Klägerin ein Anscheinsbeweis, muss der Beklagte zwar nicht das Gegenteil beweisen, er muss aber den Anscheinsbeweis entkräften. Nicht ausreichend ist allein ein Hinweis auf einen Geschehensablauf, nach dem das Ereignis (hier: die Kündigung vom 26. Juli 2016) eine andere Ursache haben kann.

Der Anscheinsbeweis wurde hier nicht hinreichend erschüttert sein.

Soweit der Beklagte vorträgt, dass die Kündigung aufgrund der Schlechtleistung des Herrn D. vom 14. Juli 2016 erfolgt sei, spricht zunächst der zeitliche Abstand zum 26. Juli 2016 gegen diese Kündigungsbegründung. Zwar ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn ein Arbeitgeber sich vor Ausspruch einer Kündigung noch ein wenig Bedenkzeit nimmt. Hier ergibt sich jedoch bislang nicht, zu welchem Zweck die Bedenkzeit benötigt werden sollte. Denn der Beklagte hat bereits im erstinstanzlichen Schriftsatz vom 19. April 2017 auf Seite 3 darauf hingewiesen, dass die mangelhafte Ausführung der Arbeit gegenüber Herrn D. vom Beklagten angesprochen worden sei. Worüber dann in diesem Zusammenhang noch nachgedacht werden sollte, ist dem Vortrag des Beklagten nicht zu entnehmen. Diesem ist auch nicht zu entnehmen, welche Gedanken dann innerhalb der nächsten 12 Tage den Kündigungsentschluss ausgelöst haben.

Gerade weil der Beklagte seit fast drei Jahren händeringend die Stelle des Kfz-Schlossers besetzen wollte, erschließt sich auch nicht, weshalb ein einmaliger Fehler bei der Arbeitsausführung ohne größere Folgen und einer noch mehr als 2 Monate andauernden Probezeit (bis 30. September 2016) - insbesondere nach 12tägiger Bedenkzeit - am 26. Juli 2016 den Kündigungsentschluss erbracht haben soll. Zu erwarten wäre gewesen, dass der Beklagte das Fehlverhalten beanstandet und abwartet, ob sich beim Kläger innerhalb der Probezeit entsprechende Fehler wiederholen.

Das gleiche gilt für den aus Sicht des Beklagten fehlenden Erwerb der Grundqualifikation als Berufskraftfahrer. Wie der Beklagte ebenfalls im erstinstanzlichen Schriftsatz vom 19. April 2017 auf Seite 3 ausgeführt hat, forderte der Beklagte nach dem Arbeitsantritt am 1. Juli 2016 mehrfach den Erwerb bzw. die Vorlage einer entsprechenden Anmeldung zum Lehrgang, ohne eine Kündigung anzudrohen. Vor der Arbeitsunfähigkeit des Herrn D. führte dieses nicht zu einem Kündigungsentschluss. Da der Herr D. während der Arbeitsunfähigkeit keine Verpflichtung zu entsprechenden Aktivitäten hatte, gilt auch hier, dass gerade weil der Beklagte seit fast drei Jahren händeringend die Stelle des Kfz-Schlossers besetzen wollte, sich nicht erschließt, weshalb der fehlende Erwerb einer nicht zwingend erforderlichen Qualifikation ohne konkrete Folgen und bei einer noch mehr als 2 Monate andauernden Probezeit (bis 30. September 2016) - insbesondere nach 12tägiger Bedenkzeit - am 26. Juli 2016 den Kündigungsentschluss erbracht haben soll. Zu erwarten wäre gewesen, dass der Beklagte das Fehlverhalten beanstandet und abwartet, ob der Arbeitnehmer D. innerhalb der Probezeit doch noch einen solchen Lehrgang absolviert.

Neuere Erkenntnisse oder Schlussfolgerungen während der Arbeitsunfähigkeit des Herrn D., die die Kündigung bedingt hätten, hat der Beklagte nicht vorgebracht.

III.

Die Kostenentscheidung folgt § 64 Abs.6 ArbGG in Verbindung mit § 97 ZPO. Der Beklagte hat die Kosten der erfolglosen Berufung zu tragen.

Die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG kam nicht in Betracht, da die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorgelegen haben.