BGH, Urteil vom 26.04.2018 VII ZR 82/1722.05.2018

Bei einvernehmlicher Vertragsaufhebung erfolgt die Vergütung wie bei freier Kündigung

Leitsatz

1. Im Falle der einvernehmlichen Vertragsbeendigung richtet sich die vom Auftragnehmer zu beanspruchende Vergütung nach § 8 Nr. 1 Abs. 2 VOB/B (2002), sofern sich die Parteien über die Folgen der Vertragsbeendigung nicht anderweitig geeinigt haben (im Anschluss an BGH, Urteilvom 4. Juni 1973, VII ZR 113/71, NJW 1973, 1463).

2. Eine Anpassung der vereinbarten Vergütung nach § 2 Nr. 3 VOB/B (2002) kommt nur in Betracht, wenn es ohne Eingriff in den ursprünglichen Leistungsbestand zu einer reinen Mengenänderung bei den Vordersätzen der bei Vertragsschluss festgelegten Leistungen kommt (im Anschluss an BGH, Urteil vom 27. November 2003, VII ZR 346/01, BauR 2004, 495 = NZBau 2004, 207).

Verfahrensgang
vorgehend BGH 7. Zivilsenat, 8. November 2017, VII ZR 82/17, Beschluss
vorgehend OLG Rostock 4. Zivilsenat, 14. März 2017, 4 U 155/12, Urteil
vorgehend LG Schwerin, 29. November 2012, 4 O 270/12

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Rostock vom 14. März 2017 - 4 U 155/12 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

 

Von Rechts wegen
Tatbestand

Die Klägerin fordert eine Vergütung für infolge verkürzter Bauzeit nicht erbrachte Leistungen in Höhe von 94.778,24 €.

 
Die Beklagte führte im Jahr 2004 eine öffentliche Ausschreibung betreffend den grundhaften Ausbau der Bundesautobahn A 19 für Leistungen der Verkehrsführung und Verkehrssicherung durch, an dem sich die Klägerin mit einem Angebot zu einem Gesamtpreis von 1.076.416,75 € netto beteiligte. Darin bot die Klägerin entsprechend der Ausschreibung unter Einbeziehung der VOB/B (2002) die Vorhaltung einer Stahlgleitwand von 14,8 km für 588 Tage zu einem Einheitspreis von 1.184 €/Tag netto an. In der Ausschreibung war als Frist für die Ausführung der Leistungen der Zeitraum von September 2004 bis April 2006 angegeben, vorbehaltlich der Zuschlagserteilung des Bauhauptloses. Die am 2. September 2004 endende Binde- und Zuschlagsfrist wurde auf Bitten der Beklagten mit Zustimmung der Klägerin mehrfach verlängert. Am 30. März 2006 erteilte die Beklagte der Klägerin den Zuschlag für die angebotenen Arbeiten über 1.186.211,26 € brutto nach Abzug eines Nachlasses von 5 %.

 
Wegen der Dauer des Vergabeverfahrens hatte die Klägerin im Jahr 2005 begonnen, die zur Ausführung vorgesehene und von ihr vorgehaltene Stahlgleitwand sukzessive auf anderen Baustellen einzusetzen. Bei Zuschlagserteilung musste die Klägerin daher die benötigte Stahlgleitwand bei einem Nachunternehmer anmieten. Die Klägerin machte Mehrkosten für die Vorhaltung der Stahlgleitwand wegen der mehrfachen Verlängerung der Zuschlagsfrist in Höhe von 431.783,60 € geltend. Diese Forderung ist Gegenstand des Parallelverfahrens VII ZR 81/17.

 
Die Stahlgleitwand wurde auf Weisung der Beklagten nur an 333 Tagen eingesetzt, da diese die Baumaßnahme erheblich beschleunigte. Die Klägerin beansprucht für die infolge vorzeitiger Vertragsbeendigung nicht erbrachten Leistungen auf der Grundlage eines vorgerichtlich eingeholten Sachverständigengutachtens und unter Berücksichtigung eines Nachlasses von 5 % eine Vergütung in Höhe von insgesamt 94.778,24 €.

 
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht die Beklagte zur Zahlung des geforderten Betrags verurteilt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision will die Beklagte die Abweisung der Klage erreichen.
Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg.

 
Auf das Schuldverhältnis ist das Bürgerliche Gesetzbuch in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung anzuwenden, Art. 229 § 39 EGBGB.

 

I.

 
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, der Klägerin stehe aufgrund der erheblich verkürzten Bau- bzw. Vorhaltezeit ein Anspruch aus § 8 Nr. 1 VOB/B (2002) zu. Die Aufforderung der Beklagten an die Klägerin, die ca. 14.800 m lange Stahlgleitwand bereits nach einer Standzeit von 333 Tagen (statt nach vereinbarten 588 Tagen) abzubauen, sei nach verständiger Auslegung als eine den Anspruch nach § 8 Nr. 1 VOB/B (2002) begründende freie Kündigung anzusehen. Die Beklagte habe aufgrund der Notwendigkeit zur vorzeitigen Fertigstellung der Baumaßnahme von ihrem freien Kündigungsrecht Gebrauch gemacht. Angesichts der erheblichen Beschleunigung der Baumaßnahme wegen der enormen Verzögerung beim Baubeginn einerseits und der notwendigen Fertigstellung des Autobahnteilstücks vor dem G 8-Gipfel in Heiligendamm im Juni 2007 andererseits habe die Kündigung ihre Ursache allein im Risiko- und Verantwortungsbereich der Beklagten.

 
Die als Kündigung auszulegende Aufforderung zum Abbau der Stahlgleitwand habe zwar nicht dem Schriftformerfordernis nach § 8 Nr. 5 VOB/B (2002) entsprochen. Indes sei allgemein anerkannt, dass bei einem VOB-Vertrag die Kündigungsregelungen in §§ 8, 9 VOB/B (2002) jedenfalls auch dann Geltung erlangen sollen, wenn von einer einverständlichen Vertragsaufhebung auszugehen sei und die Parteien sich nicht über deren Folgen ausdrücklich verständigt hätten. Aufgrund des nach Aufforderung der Beklagten erfolgten Abbaus der Stahlgleitwand und der weiteren Baustellenräumung sowie der Fertigstellung der Baumaßnahme sei hier die Annahme einer einvernehmlichen (konkludenten) Vertragsaufhebung berechtigt. Vorliegend hätten sich die Parteien über die Folgen dieser einvernehmlichen Vertragsaufhebung ausdrücklich nicht verständigt.

 
Der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag sei dahin auszulegen, dass die Klägerin die Vorhaltung der Stahlgleitwand in einem Umfang von 14.800 m für mindestens 588 Tage schuldete. Bei einer Verkürzung der vertraglich vereinbarten Leistungs(Miet-)zeit werde der Auftragnehmer in seiner berechtigten Vergütungserwartung für den gesamten Zeitraum enttäuscht. Aufgrund des überwiegend mietrechtlichen Charakters der streitgegenständlichen Bauleistung sei eine Anpassung nach den Regelungen zur Vergütungsanpassung für Mehr- und Mindermengen beim Einheitspreisvertrag gemäß § 2 Nr. 3 VOB/B (2002) nicht vorzunehmen. Im Übrigen komme eine Anwendung des § 2 Nr. 3 VOB/B (2002) nur in Betracht, wenn sich die Verringerung der Leistung ohne Einwirkung des Auftraggebers wegen der an Ort und Stelle vorgefundenen Verhältnisse ergebe, was vorliegend nicht der Fall sei.

 
Die Klägerin mache aufgrund einer nachträglichen Kalkulation ihres Angebotspreises den Vergabegewinn, den Gewinn und Allgemeine Geschäftskosten als nicht ersparte Kosten geltend. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin ihrem Vergütungsanspruch nur solche Vergütungsbestandteile zugrunde lege, die ohnehin nicht erspart werden könnten und ihr unabhängig von einem anderweitigen Erwerb zuständen, mithin durch anderweitigen Erwerb nicht kompensiert werden könnten. Gegen die Berechnung des Anspruches habe die Beklagte keine substantiierten Angriffe geführt.

 

II.

 
Dies hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

 
1. Das Berufungsgericht geht zu Recht davon aus, dass der Klägerin nach teilweiser einvernehmlicher Aufhebung des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrags vom 30. März 2006 nach § 8 Nr. 1 Abs. 2 VOB/B (2002) ein Vergütungsanspruch wegen nicht erbrachter Leistungen in Höhe von 94.778,24 € zusteht.

 
a) Zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, dass der Vertrag vom 30. März 2006 durch die Beschleunigungsmaßnahmen der Beklagten, die dazu geführt haben, dass die Vorhaltung der Stahlgleitwand nur an 333 Tagen statt wie im Leistungsverzeichnis angegeben 588 Tagen erforderlich war, teilweise einvernehmlich vorzeitig beendet worden ist.

 
aa) Das Berufungsgericht legt den zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag hinsichtlich der darin enthaltenen Position zur Vorhaltung einer Stahlgleitwand von 14,8 km für 588 Tage dahin aus, dass die Klägerin danach verpflichtet war, entsprechend der in Aussicht genommenen Bauzeit eine Stahlgleitwand für einen Zeitraum von insgesamt 588 Tagen zur Verfügung zu halten. Die tatrichterliche Vertragsauslegung ist revisionsrechtlich nur dahingehend überprüfbar, ob Verstöße gegen gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, sonstige Erfahrungssätze oder Denkgesetze vorliegen oder ob die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruht (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 2015 - VII ZR 58/14, NZBau 2016, 213 Rn. 15; Urteil vom 9. Juli 2015 - VII ZR 5/15, BGHZ 206, 203 Rn. 20; Versäumnisurteil vom 22. Januar 2015 - VII ZR 87/14, NJW 2015, 1107 Rn. 14; Urteil vom 18. Dezember 2014 - VII ZR 60/14, BauR 2015, 828 Rn. 17 m.w.N. = NZBau 2015, 220). Beachtliche Rechtsfehler des Berufungsgerichts bei der Vertragsauslegung liegen entgegen der Auffassung der Revision nicht vor.

 
Die Auffassung der Revision, das Berufungsgericht sei von einem Pauschalpreis- und nicht von einem Einheitspreisvertrag ausgegangen, trifft nicht zu. Das Berufungsgericht hat vielmehr zugrunde gelegt, dass das Vorhalten der Stahlgleitwand nach den im Vertrag vereinbarten Einheitspreisen je Tag der Vorhaltung abzurechnen war. Soweit das Berufungsgericht davon ausgegangen ist, dass der Zeitraum der Vorhaltung der Stahlgleitwand mit 588 Tagen verbindlich im Sinne einer Mindestvertragslaufzeit vereinbart worden ist, begegnet dies keinen revisionsrechtlichen Bedenken. Die Auslegung des Berufungsgerichts ist möglich und widerspricht insbesondere nicht dem Grundsatz einer interessengerechten Auslegung.

 
Soweit die Revision dagegen anführt, die Beklagte habe in der Leistungsbeschreibung "Baubeschreibung Verkehrsführung" gefordert, die Einheitspreise so zu kalkulieren, dass diese für die gesamte Bauzeit verbindlich sind, steht dies einer interessengerechten Auslegung nicht entgegen. Dieser von der Beklagten vorgegebene Passus der Leistungsbeschreibung stützt vielmehr die Annahme des Berufungsgerichts, dass sich ein Bieter auf eine Bauzeit von 588 Tagen einzurichten und seine Preise entsprechend zu kalkulieren hatte.

 
bb) Ausgehend von der Annahme, dass die Klägerin nach dem Vertrag eine Stahlgleitwand jedenfalls für eine Bauzeit von 588 Tagen zur Verfügung halten musste, stellt die Anforderung der Stahlgleitwand durch die Beklagte während eines Zeitraums von lediglich 333 Tagen eine Verkürzung der ursprünglich vereinbarten Vertragslaufzeit dar, die einer Teilkündigung des Vertrags gleichzustellen ist. Da nach den von der Revision insoweit nicht beanstandeten Feststellungen des Berufungsgerichts von einer einvernehmlichen Vertragsaufhebung auszugehen ist, kommt es auf die von der Revision für erheblich gehaltene Frage, ob die Parteien auf das für eine Kündigung geltende Schriftformerfordernis nach § 8 Nr. 5 VOB/B (2002) verzichten können, nicht entscheidend an.

 
b) Im Falle der einvernehmlichen Vertragsbeendigung richtet sich die vom Auftragnehmer zu beanspruchende Vergütung nach § 8 Nr. 1 Abs. 2 VOB/B (2002), der inhaltlich weitgehend dem § 649 Satz 2 BGB entspricht, sofern sich die Parteien über die Folgen der Vertragsbeendigung nicht anderweitig geeinigt haben (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juni 1973 - VII ZR 113/71, NJW 1973, 1463 f., juris Rn. 25 f. m.w.N.; Ingenstau/Korbion/Joussen/Vygen, VOB Teile A und B, 20. Aufl., § 8 Abs. 6 VOB/B Rn. 8; O. Vogel, BauR 2011, 313, 315). Feststellungen zu einer solchen Vereinbarung hat das Berufungsgericht nicht getroffen.

 
aa) § 8 Nr. 1 Abs. 2 VOB/B (2002) verdrängt, wie das Berufungsgericht richtig erkennt, als speziellere Regelung den § 2 Nr. 3 VOB/B (2002) (vgl. OLG Celle, BauR 1995, 558, juris Rn. 4; Ingenstau/Korbion/Keldungs, VOB Teile A und B, 20. Aufl., § 2 Abs. 3 VOB/B Rn. 33; Kapellmann/Schiffers/Markus, Vergütung, Nachträge und Behinderungsfolgen beim Bauvertrag, Bd. 1, Einheitspreisvertrag, 7. Aufl., Rn. 512; Kuffer in Heiermann/Riedl/Rusam, VOB, 13. Aufl., § 2 VOB/BRn. 111). Eine Anpassung der vereinbarten Vergütung nach § 2 Nr. 3 VOB/B (2002) kommt nur in Betracht, wenn es ohne Eingriff in den ursprünglichen Leistungsbestand zu einer reinen Mengenänderung bei den Vordersätzen der bei Vertragsschluss festgelegten Leistungen kommt (vgl. BGH, Urteil vom 27. November 2003 - VII ZR 346/01, BauR 2004, 495, 496, juris Rn. 18 = NZBau 2004, 207). Diese Voraussetzung ist, wie dargestellt, nicht erfüllt.

 
bb) Der Klägerin steht danach gemäß § 8 Nr. 1 Abs. 2 VOB/B (2002) die vereinbarte Vergütung zu; sie muss sich jedoch anrechnen lassen, was sie infolge der teilweisen Aufhebung des Vertrags an Kosten erspart oder durch anderweitige Verwendung ihrer Arbeitskraft und ihres Betriebs erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Das Berufungsgericht hält in Übereinstimmung mit dem Vortrag der Klägerin einen Betrag in Höhe von 94.778,24 € für gerechtfertigt. Dies begegnet revisionsrechtlich keinen Bedenken (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2016 - VII ZR 201/15, BGHZ 209, 278 Rn. 27; Urteil vom 28. Oktober 1999 - VII ZR 326/98, BGHZ 143, 79, 83 f., juris Rn. 13; Urteil vom 30. September 1999 - VII ZR 206/98, BauR 2000, 126, 128, juris Rn. 13 = NZBau 2000, 140; Urteil vom 14. Januar 1999 - VII ZR 277/97, BGHZ 140, 263, 269, juris Rn. 25). Die Höhe der von der Klägerin errechneten Vergütung wird von der Revision im Übrigen nicht angegriffen.

 
2. Die Klägerin kann von der Beklagten weiterhin unter dem Gesichtspunkt des Verzugs gemäß § 280 Abs. 1, § 286 BGB Ersatz der durch die vorgerichtliche Beauftragung ihrer Prozessbevollmächtigten entstandenen Rechtsverfolgungskosten in der geltend gemachten Höhe von 1.935,50 € nach einem Gegenstandswert von 94.778,24 € verlangen. Eine Obliegenheit der Klägerin, ihren Prozessbevollmächtigten hinsichtlich des im vorliegenden Verfahren geltend gemachten Vergütungsanspruchs und des im Parallelverfahren VII ZR 81/17 verfolgten Zahlungsanspruchs einen einheitlichen Auftrag zu erteilen, folgt entgegen der Auffassung der Revision nicht bereits daraus, dass sie in diesem Fall wegen der Zusammenrechnung der Forderungen infolge der sich aus der Gebührentabelle ergebenden Gebührenstufen insgesamt eine geringere Verfahrensgebühr an ihre Prozessbevollmächtigten hätte zahlen müssen. Da die Klägerin berechtigt war, die beiden Ansprüche in zwei getrennten Prozessen geltend zu machen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 8. November 2017 - VII ZR 81/17 und VII ZR 82/17), ist die Erteilung zweier getrennter Aufträge nicht als Verstoß gegen § 254 Abs. 2 Satz 1, 2. Fall BGB zu bewerten. Die Höhe der von der Klägerin nach einem Streitwert von 94.778,24 € zu beanspruchenden Gebühr steht zwischen den Parteien nicht im Streit.

 

III.


Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.