KG Berlin, Beschluss vom 28. Juni 2017 – 13 UF 75/1616.11.2017

Leitsatz

1. Zur Verwirkung von rückständigem Kindesunterhalt aufgrund nicht zeitnaher Durchsetzung des titulierten Unterhaltsanspruchs.

2. Auch bei einem titulierten Unterhaltsrückstand ist das Zeitmoment der Verwirkung grundsätzlich nach einem Jahr der Untätigkeit erfüllt.

3. Das Umstandsmoment der Verwirkung kann darin gesehen werden, dass der Titelgläubiger, der unter Hinweis auf eine deutlich gebesserte wirtschaftliche Klage des Titelschuldners Vollstreckungsmaßnahmen androht, diese aber doch unterlässt, obwohl er davon ausgehen musste, dass eine Zwangsvollstreckung erfolgversprechend sein wird. Das Umstandsmoment kann weiter gegeben sein, wenn der Titelgläubiger sich über einen längeren Zeitraum hinweg widerspruchslos mit der Zahlung eines hinter dem titulierten Betrag deutlich zurückbleibenden Teilbetrag zufrieden gibt.

4. Das Umstandsmoment ist nicht gegeben, wenn die vom Titelgläubiger angedrohte Zwangsvollstreckung unterbleibt, weil sie erkennbar aussichtslos ist.

Tenor

     Der Antrag der Antragsgegnerin vom 16. Juni 2016, ihr Verfahrenskostenhilfe für die Rechtsverfolgung in der zweiten Instanz zu gewähren, wird zurückgewiesen.

 Gründe

     I.

 

1

    Die Antragsgegnerin wendet sich gegen den Beschluss des Familiengerichts vom 20. April 2016, mit dem die Zwangsvollstreckung aus der Urkunde des Bezirksamts Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin - Jugendamt - vom 22. März 2007 (Beurkundungsregister Nr. ... /2007) für unzulässig erklärt wurde, soweit Unterhalt bis einschließlich Dezember 2013 tituliert ist. Zur Begründung dafür, weshalb die Vollstreckung von im Zeitraum bis einschließlich Dezember 2013 - angeblich - aufgelaufener, rückständiger Unterhaltsbeträge unzulässig sein soll, hat das Familiengericht ausgeführt, dass die betreffenden, behaupteten Rückstände verwirkt seien. Das Zeitmoment sei erfüllt, weil die Antragsgegnerin in der Zeit vom 16. Juli 2013 bis zum 29. Januar 2015 und damit deutlich länger als ein Jahr keine Bemühungen unternommen habe, um ihre titulierten, dynamisierten Unterhaltsansprüche in Höhe von 135% des Regelbetrages der 3. Altersstufe abzüglich des jeweiligen Kindergeldes geltend zu machen. Das Umstandsmoment der Verwirkung läge ebenfalls vor, weil der Antragsteller - ihr Vater -, der ab Mai 2013 lediglich einen Unterhaltsbetrag von 200 €/Monat und damit einen deutlich geringeren als den titulierten Betrag gezahlt habe, nach Treu und Glauben darauf vertrauen durfte, dass es mit dieser Zahlung sein Bewenden habe und die Differenz zu dem titulierten Unterhaltsbetrag nicht mehr geltend gemacht werden würde. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den angegriffenen Beschluss Bezug genommen.

 

2

    Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin, die ihren erstinstanzlichen (Abweisungs-) Antrag in zweiter Instanz weiter verfolgt. Sie ist der Auffassung, das Familiengericht habe zu Unrecht eine Unterhaltsverwirkung aufgrund Zeitablaufs angenommen. Sie meint, da es sich um einen titulierten Unterhalt handele, sei bereits fraglich, ob eine Untätigkeit von lediglich etwa eineinhalb Jahren schon ausreichend sei, um das Zeitmoment zu erfüllen. Ein Vertrauen des Antragstellers darauf, dass der Rückstand nicht mehr geltend gemacht werden würde, wird von ihr in Abrede gestellt. Sie meint, als Titelgläubigerin habe sie sich auf den Titel und dessen Bestand verlassen dürfen; sie habe sich lediglich um dessen Durchsetzung zu kümmern. Zu einer zeitnahen Durchsetzung habe indessen keine Veranlassung bestanden, da sie aufgrund von bestimmten Tatsachen davon ausgehen musste, dass eingeleitete Zwangsvollstreckungsmaßnahmen erfolglos bleiben würden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Beschwerdeschrift vom 11. Mai 2016, den Schriftsatz vom 15. Juni 2016 sowie die Beschwerdebegründung vom 16. Juni 2016 Bezug genommen.

 

3

    Der Antragsteller verteidigt die familiengerichtliche Entscheidung unter Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrages als zutreffend und richtig. Wegen der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze vom 25. Mai 2016, vom 29. Juni 2016 und vom 13. Juli 2016 verwiesen.

 

    II.

 

4

    Die Rechtsverfolgung der Antragsgegnerin bietet keine Aussicht auf Erfolg (§§ 113 Abs. 1 FamFG, 114, 119 Abs. 1 ZPO). Denn gegen die familiengerichtliche Entscheidung gibt es auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens nichts zu erinnern:

 

5

    1. Allgemein anerkannt ist, dass der Geltendmachung eines Unterhaltsrückstands die aus dem Grundsatz von Treu und Glauben hergeleitete rechtsvernichtende, von Amts wegen zu berücksichtigende Einwendung der illoyalen Verspätung der Rechtsausübung entgegengesetzt werden kann; dies auch bereits vor Eintritt der Verjährung (vgl. Wendl/Dose-Gerhardt, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis [9. Aufl. 2015], § 6 Rn. 142; NomosKommentarBGB/Menne [3. Aufl. 2014], § 1613 Rn. 28). Voraussetzung dafür, dass eine Verwirkung angenommen werden kann, ist nach ständiger Rechtsprechung (vgl. etwa BGH, Urteil vom 10. Dezember 2003 - XII ZR 155/01, FamRZ 2004, 531 für titulierten Nachscheidungsunterhalt), dass der Unterhaltsberechtigte den fälligen Unterhaltsanspruch längere Zeit hinweg nicht geltend gemacht hat (= Zeitmoment), obwohl er dazu in der Lage gewesen wäre und der Unterhaltspflichtige sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte, dass der Berechtigte sein Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde (= Umstandsmoment). Soweit Zeit- und Umstandsmoment gegeben sind, scheidet die weitere Geltendmachung des vor dem Zeitmoment liegenden Anspruchs aus. Das liegt hier vor; das Familiengericht hat zutreffend festgestellt, dass sowohl das Zeit- als auch das Umstandsmoment gegeben sind:

 

6

    2. a) Für das Unterhaltsrecht wird - wie das Familiengericht richtig herausgearbeitet hat - allgemein davon ausgegangen, dass an das Zeitmoment der Verwirkung keine allzu strengen Anforderungen zu stellen sind. Die Gründe hierfür liegen auf der Hand: Von einem Unterhaltsberechtigten, der lebensnotwendig auf Unterhaltszahlungen angewiesen ist, wird eher als von einem Gläubiger sonstiger Forderungen erwartet werden können, dass er sich zeitnah um die Anspruchsdurchsetzung kümmert. Soweit er untätig bleibt, wird sein Verhalten regelmäßig den Eindruck erwecken, nicht bedürftig zu sein. Weiter kommt hinzu, dass Unterhaltsrückstände rasch zu einer erdrückenden Schuldenlast anwachsen können, durch die die Leistungsfähigkeit in Bezug auf die Begleichung des laufenden Unterhalts gefährdet werden kann. In rechtlicher Hinsicht ist - jedenfalls im Allgemeinen - schließlich zu berücksichtigen, dass die Voraussetzungen für den Bestand des Unterhaltsanspruchs, namentlich die Einkommensverhältnisse, mit zunehmendem Zeitablauf immer schwieriger zu ermitteln sind. Deshalb wird aus der Jahresgrenze, die das Gesetz für die nachträgliche Geltendmachung des Sonderbedarfs (§ 1613 Abs. 2 Nr. 1 BGB) und von rückständigem Nachscheidungsunterhalt (§ 1585b Abs.3 BGB) vorsieht, der Grundsatz abgeleitet, dass das Zeitmoment bei Unterhaltsrückständen, die ein Jahr oder länger zurückliegen, erfüllt ist. Im Einklang mit dem Normzweck des § 1613 BGB - Unterhalt kann grundsätzlich nur für die Gegenwart und nicht für die Vergangenheit verlangt werden (“in praeteritum non vivitur”) - genießt in diesem Fall der Schuldnerschutz Vorrang vor dem Gläubigerinteresse (vgl. NomosKommentarBGB/Menne [3. Aufl. 2014], § 1613 Rn. 29; Büte/Poppen/Menne-Büte, Unterhaltsrecht [3. Aufl. 2015], Vor § 1360 Rn. 28, 29).

 

7

    b) Bei der Jahresfrist bleibt es insbesondere auch dann, wenn es sich um einen Unterhaltsrückstand aus einem Titel handelt (vgl. BGH, Urteil vom 10. Dezember 2003 - XII ZR 155/01, FamRZ 2004, 531: durch Prozessvergleich titulierter Nachscheidungsunterhalt; OLG Hamm, Beschluss vom 13. Mai 2013 - 2 WF 82/13, MDR 2013, 1468: titulierter Kindesunterhalt; OLG Brandenburg, Beschluss vom 25. November 2011 - 13 WF 129/11, FamRZ 2012, 993: titulierter Kindesunterhalt sowie Henjes, FuR 2009, 432, 435). Davon, dass das Zeitmoment bei titulierten Unterhaltsansprüchen großzügiger zu bemessen sei, kann keine Rede sein. Im Gegenteil; die zwangsweise Durchsetzung titulierter Forderungen liegt weitaus näher als die Geltendmachung nicht titulierter Forderungen, weil der Gläubiger sich lediglich noch um die Zwangsvollstreckung, aber nicht mehr um die Titulierung als solche kümmern muss. Folge hiervon ist, dass auf Grund des Absehens des Gläubigers von einer zeitnahen Geltendmachung des titulierten Unterhaltsanspruchs beim Schuldner umso leichter der Eindruck entstehen muss, dass die bestehenden Rückstände endgültig nicht mehr geltend gemacht werden sollen (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 4. September 2003 - 9 WF 158/03, FamRZ 2004, 972 sowie Menne, KindPrax 2004, 136, 137).

 

8

    c) Tatsächlich ist die Antragsgegnerin auch deutlich länger als ein Jahr untätig geblieben: Die letzte Aufforderung, den titulierten Unterhalt vollständig zu zahlen, erfolgte durch Anwaltsschreiben vom 16. Juli 2013 (als Anlage zum Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 14. Januar 2016; I/78). Möglicherweise ist die Aufforderung im Zusammenhang damit zu sehen, dass der Antragsteller der Antragsgegnerin im Mai 2013 seine Zahlungen möglicherweise wieder aufgenommen hatte und jedenfalls seit Mai 2013 regelmäßig 200 €/Monat an die Antragsgegnerin überwies. Die nächste (und bis heute wohl auch letzte) Aufforderung, den vollen, titulierten Unterhaltsbetrag zu zahlen, erfolgte erst wieder mit Anwaltsschreiben vom 29. Januar 2015 (als Anlage zum Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 14. Januar 2016; I/80). Zwischen dem Schreiben vom 16. Juli 2013 und demjenigen vom 29. Januar 2015 erstreckt sich eine zeitliche Lücke von knapp über 18 Monaten. Die Jahresfrist des Zeitmoments der Verwirkung ist damit gegeben; von der Verwirkung betroffen sind Unterhaltsrückstände, die älter als ein Jahr sind, gerechnet ab dem Schreiben vom 29. Januar 2015 und damit Unterhaltsrückstände aus dem Zeitraum bis einschließlich Dezember 2013.

 

9

    3. a) Das Umstandsmoment ist erfüllt, wenn der Unterhaltsverpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einstellen durfte und sich auch tatsächlich darauf eingestellt hat, dass dieser sein Recht auch in Zukunft nicht geltend machen wird.

 

10

    b) Derartige Umstandsmomente sind vorliegend in mehrfacher Hinsicht gegeben:

 

11

    (aa) Das erste Umstandsmoment, dass dem Antragsteller Anlass gab, sich darauf einzustellen, dass die Antragsgegnerin nicht mehr auf einer Zahlung der titulierten Rückstände bestehen wird, ergibt sich bereits im Zusammenhang mit dem Anwaltsschreiben vom 16. Juli 2013 (I/78) selbst:

 

12

    In diesem Schreiben droht die Antragsgegnerin dem Antragsteller erneute Zwangsvollstreckungsmaßnahmen an. Die Androhung zielte auf die erneute Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung, die der Antragsteller zuletzt am 30. August 2010 abgegeben hatte (Schriftsatz vom 4. Februar 2016, dort S. 3; I/106). Bei Abfassung des Schreibens vom 16. Juli 2013 stand die Sperrfrist für die Abgabe einer wiederholten eidesstattlichen Versicherung kurz vor dem Ablauf; nachdem die letzte eidesstattliche Versicherung am 30. August 2010 abgegeben worden war, konnte die Antragsgegnerin nach dem 30. August 2013 auch ohne die Glaubhaftmachung einer wesentlichen Veränderung der Vermögensverhältnisse des Schuldners die Abgabe einer neuen eidesstattlichen Versicherung verlangen (§ 903 ZPO a.F. [bis 31. Dezember 2012], §§ 802d Abs. 1 ZPO, 39 Nr. 1 EGZPO sowie Zöller/Stöber, ZPO [31. Aufl. 2016], § 802d Rn. 2). In dem Anwaltsschreiben vom 16. Juli 2013 (I/78) weist die Antragsgegnerin weiter darauf hin, dass sie über Hinweise darüber verfüge, dass ein erneuter Zwangsvollstreckungsversuch erfolgreich sein wird; sie hebt hervor, sie wisse, dass der Antragsgegner mehrfach im Jahr kostspielige Reisen unternehme, er über ausreichend Mittel verfügt habe, um sich einen neuen Wagen - allerdings gebraucht - zu kaufen und dass sein Unternehmen wirtschaftlich erfolgreich sein soll. Auch wusste sie, dass der Antragsteller in eine größere - und damit mutmaßlich teurere - Wohnung umgezogen war (Schriftsatz vom 25. Februar 2016, dort S. 4; I/139). Über ihre Mutter - die Antragsgegnerin lebte, bevor sie auszog, im Haushalt der Mutter - wusste die Antragsgegnerin, dass der Antragsteller sogar über die Mittel für einen BMW Geländewagen verfügte, um damit in die Ferien zu fahren (Ausdruck einer What’s App-Nachricht der Mutter der Antragsgegnerin an den Antragsteller als Anlage zum Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 14. Januar 2016; I/90). Bei dieser Sachlage gab es keine Anzeichen dafür, dass Zwangsvollstreckungsmaßnahmen fruchtlos bleiben würden; nach dem äußeren, von der Antragsgegnerin wahrgenommenen Anschein deutete vielmehr alles darauf hin, dass eine neuerliche Zwangsvollstreckung mindestens zu einem teilweisen Erfolg führen wird. Gleichwohl wurden trotz der Androhung und dem Hinweis, dass die Gläubigerin von einer erfolgreichen Zwangsvollstreckung ausgeht, von der Antragsgegnerin dennoch keine entsprechenden Maßnahmen eingeleitet.

 

13

    Umgekehrt zahlte der Antragsteller zu diesem Zeitpunkt - Juli 2013 - bereits seit etwa drei Monaten, seit Mai 2013 (Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 25. Februar 2016, dort S. 5; I/140), zwar nicht den vollen, titulierten Unterhalt, aber immerhin wieder regelmäßig Unterhalt in Höhe von 200 €/Monat. Bekannt war auch, dass die Mutter der Antragsgegnerin im November 2012 eine neue, wesentlich besser bezahlte Stellung in einer nuklearmedizinischen Praxis angetreten hatte (u.a. Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 25. Februar 2016, dort S. 3; I/138; Schriftsatz des Antragstellers vom 5. April 2016, dort S. 5; II/161). Und schließlich gibt es einen E-Mail-Wechsel zwischen der Antragsgegnerin und dem Antragsteller vom 17. Juli 2013 (Anlage zum Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 14. Januar 2016; I/81, 81R), in dem die Antragsgegnerin betont, sie müsse sich darauf verlassen können, dass sie jeden Monat den gleichen Unterhaltsbetrag - eine Unterhaltshöhe wurde nicht genannt - zuverlässig bekomme und umgekehrt der Antragsteller signalisierte, dass er ein Interesse am Fortkommen der Antragsgegnerin habe, dass er mit ihr über den Unterhalt für ihr Studium reden wolle und sie bittet, das Gespräch mit ihm aufzunehmen; einer Bitte, der die Antragsgegnerin nicht nachkam.

 

14

    Der Antragsteller, auf dessen Sicht es im Rahmen des Umstandsmoments entscheidend ankommt, konnte diese Zeichen nur dahingehend deuten, dass die Antragsgegnerin mit den 200 €, die er ihr (wieder) zahlte, sich zufrieden geben würde. Aus seiner Sicht und unter außer Achtlassung, dass ein Titel vorlag, sprach sogar alles dafür, dass er mit einer Zahlung von 200 € die auf ihn entfallende Quote - ab Volljährigkeit der Antragsgegnerin waren beide Eltern barunterhaltspflichtig (§ 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB) - von der Größenordnung her erfüllen würde und er damit seiner Unterhaltspflicht, jedenfalls “der Sache nach”, vollständig gerecht würde. Denn wenn dem nicht so wäre, hätte die Antragsgegnerin die Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, die sie über ihre Anwältin hat androhen lassen, auch umgesetzt, zumal da sie von einer Vermögenssituation des Antragstellers ausging, die einen Zwangsvollstreckungserfolg wahrscheinlich machte.

 

15

    (bb) Ein weiteres Umstandsmoment ist darin zu sehen, dass die Antragsgegnerin entgegen ihrer Ankündigung im Anwaltsschreiben vom 16. Juli 2013 (I/78) über einen Zeitraum von mehr als einem Jahr auf die Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen verzichtet hat: Denn es ist anerkannt, dass rückständiger titulierter Kindesunterhalt der Verwirkung unterliegen kann, wenn der Unterhaltsberechtigte auf die weitere Einforderung eines Teils des Unterhalts verzichtet und nicht innerhalb eines Jahres die Vollstreckung der Rückstände einleitet, obwohl das möglich gewesen wäre (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 13. Mai 2013 - 2 WF 82/13, MDR 2013, 1468; OLG Koblenz, Beschluss vom 28. Februar 2013 - 13 WF 165/13, FamRZ 2014, 48).

 

16

    (cc) Das entscheidende, vom Familiengericht zu Recht hervorgehobene Umstandsmoment ist aber schließlich darin zu sehen, dass die Antragsgegnerin sich mit dem vom Antragsteller seit Mai 2013 gezahlten, hinter dem titulierten Betrag zurückbleibenden Unterhaltsbetrag von 200 € zufrieden gegeben hat. Die Hinnahme einer gekürzten laufenden Unterhaltszahlung durch den Unterhaltsgläubiger über einen längeren Zeitraum hinweg gilt im Rahmen der Verwirkung als Umstand, auf Grund dessen sich der Unterhaltsverpflichtete darauf einrichten kann, dass der vorhandene Rückstand nicht mehr eingefordert werden soll. Der Eindruck, der durch die widerspruchslose Entgegennahme des Minderbetrags beim Antragsteller entstand, erfuhr von seiner Warte aus eine weitere Verstärkung dadurch, dass die Antragsgegnerin diesen bei zwei Gelegenheiten zwar darauf ansprach, den (geminderten) Unterhaltsbetrag stets zum gleichen Zeitpunkt zu überweisen bzw. einen Dauerauftrag einzurichten, aber sich nicht gegen die Höhe der Zahlung wandte oder den vollen, titulierten Unterhaltsbetrag einforderte: In der Mail vom 17. Juli 2013 (Anlage zum Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 14. Januar 2016; I/81R) schreibt die Antragsgegnerin “… wenn ich irgendwann ausziehen will, wirklich darauf verlassen können muss, dass ich jeden Monat die gleiche Summe an Geld bekomme …” und auch in der Mail vom 20. November 2013 (Anlage zum Schriftsatz des Antragstellers vom 4. Februar 2016; I/120) rügt sie nicht die unzureichende Unterhaltshöhe, sondern erneut lediglich die Unzuverlässigkeit/Unpünktlichkeit der Zahlung (“Könntest Du Dir eventuell ein damit [richtig wohl: Datum] im Monat aussuchen und dann immer das Geld überweisen? Das geht zum Beispiel mit einem Dauerauftrag. …”). Aufgrund dieser Gegebenheiten hat das Familiengericht in dem angegriffenen Beschluss das Umstandsmoment völlig zu Recht für erfüllt erachtet; aufgrund der widerspruchslosen Hinnahme des Minderunterhalts durch die Antragsgegnerin konnte der Antragsteller nach Treu und Glauben davon ausgehen, dass sich die Antragsgegnerin mit dem von ihm gezahlten Unterhalt von 200 € monatlich zufrieden gibt und im Übrigen Unterhaltszahlungen von der im deutlich höheren Maße leistungsfähigen Mutter erhält, ohne dass Nachforderungen gestellt werden sollen.

 

17

    c) Richtig ist zwar, dass das Umstandsmoment dann nicht gegeben ist, wenn die angedrohte Zwangsvollstreckung unterbleibt, weil sie erkennbar aussichtslos ist. In diesem Fall ist das Umstandsmoment regelmäßig zu verneinen. Denn der Unterhaltsgläubiger handelt nicht illoyal und seine Untätigkeit ist ihm auch nicht vorwerfbar, wenn er in Anbetracht einer desolaten, bekanntermaßen unzureichenden Vermögenssituation des Unterhaltspflichtigen von offensichtlich nicht erfolgversprechenden Vollstreckungsmaßnahmen absieht. Indessen ist nichts dafür ersichtlich, dass eine derartige Situation hier gegeben war; im Gegenteil, subjektiv war die Antragsgegnerin davon überzeugt, dass Zwangsvollstreckungsmaßnahmen erfolgreich gewesen wären. Das steht fest aufgrund der folgenden Gesichtspunkte:

 

18

    (aa) Obwohl der Antragsteller zuletzt am 30. August 2010 die eidesstattliche Versicherung abgegeben hatte und danach eine dreijährige Sperrfrist für die Einholung einer erneuten eidesstattlichen Versicherung galt (vgl. §§ 903 ZPO a.F. [bis 31. Dezember 2012], 39 Nr. 1 EGZPO), hat die Antragsgegnerin am 20. Mai 2011 erneut Antrag auf Abgabe einer wiederholten eidesstattlichen Versicherung gestellt (Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 14. Januar 2016, dort S. 2f.; I/74. Eine Kopie des Antrags wurde im Verfahren Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg 150 F 4663/15 eingereicht). Der Antragsteller bestreitet zwar, dass dieser Antrag ihm zugegangen ist (Schriftsatz vom 4. Februar 2016, dort S. 3; I/106). Unabhängig von der Frage, ob die Antragsgegnerin diesen Antrag nur vorbereitet oder sie ihn auch tatsächlich angebracht hat, ist letztlich entscheidend, dass die Antragsgegnerin mit diesem Antrag ihre subjektive Vorstellung zum Ausdruck gebracht hat, dass eine erneute Zwangsvollstreckung, anders als die eidesstattliche Versicherung vom 30. August 2010, nicht mehr fruchtlos ausfallen wird. Voraussetzung dafür, um vor Ablauf der Sperrfrist einen erneuten Antrag auf Abgabe der eidesstattlichen Versicherung überhaupt stellen zu können, ist denn auch, dass der Gläubiger glaubhaft macht, dass der Schuldner nach Abgabe der letzten eidesstattlichen Versicherung Vermögen erworben hat (§ 903 ZPO a.F. bzw. inzwischen § 802d Abs. 1 Satz 1 ZPO). Davon ist die Antragsgegnerin aber ausgegangen. In ihrem Antrag vom 20. Mai 2011 (Anlage zum Schriftsatz der anwaltlichen Vertreterin der Antragsgegnerin vom 26. August 2015 im Parallelverfahren Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg 150 f 4663/15; dort I/60) weist sie darauf hin, dass der Antragsteller seit April 2011 bei der V... AG in Wolfsburg mit der Herstellung von Schnittstellen für Computersysteme beschäftigt sein soll, ein Haus angemietet habe, dessen Mietzins er nicht von den Einkünften bestreiten könne, die er noch in der eidesstattlichen Versicherung vom 30. August 2010 offenbart habe, und ein wertvolles Fahrrad besitze. Damit ist klar: Die Antragsgegnerin ging gerade nicht davon aus, dass eine erneute Zwangsvollstreckung wiederum fruchtlos bleiben würde.

 

19

    (bb) Im Anwaltsschreiben vom 16. Juli 2013 (I/78) weist sie selbst daraufhin, dass ihren Erkenntnissen zufolge die Vermögensverhältnisse des Antragstellers sich seit Abgabe der eidesstattlichen Versicherung vom 30. August 2010 deutlich verbessert haben müssen. Sie verweist auf kostspielige Reisen, die der Antragsteller sich leisten könne, auf einen aufwendigen Lebensstil, den der Antragsteller finanzieren könne und auf den Erwerb eines (gebrauchten) Fahrzeuges sowie darauf, dass der Antragsteller - ihres Wissens zufolge - sein Unternehmen erfolgreich betreibe. Damit hat die Antragsgegnerin ganz deutlich ihre Überzeugung zum Ausdruck gebracht, dass sie gerade nicht davon ausgeht, dass eine Zwangsvollstreckung erkennbar aussichtslos sein werde.

 

20

    (cc) Tatsächlich sind im Verlauf des Sommers 2013 sämtliche Indizien, die für eine Erfolglosigkeit einer erneuten Zwangsvollstreckung hätten sprechen können und die die Antragsgegnerin hätten davon abhalten können, erneut Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Antragsteller zu ergreifen, nach und nach weggefallen:

 

21

    •                       Die Sperrwirkung der eidesstattlichen Versicherung vom 30. August 2010 endete im September 2013 nach Ablauf von drei Jahren (§§ 903 ZPO a.F., § 39 Nr. 1 EGZPO);

 

22

    •                       der Bescheid des BAföG-Amtes K... vom 12. Juli 2012 für die Schwester der Antragsgegnerin, Frau A... ... M..., der noch ein illusorisch geringes Einkommen des Antragstellers auswies, beruhte auf den Verhältnissen bei Abgabe der eidesstattlichen Versicherung vom 30. August 2010 (Auskunftsverlangen des BAföG-Amtes K... vom 22. März 2012 als Anlage zum Schriftsatz des Antragstellers vom 13. Juli 2016; II/30);

 

23

    •                       im Mai 2013 begann der Antragsteller, monatlich 200 € Unterhalt an die Antragsgegnerin zu zahlen.

 

24

    Von daher gab es ab Mitte 2013 keinen Grund mehr, von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen abzusehen, zumal die Antragsgegnerin wusste, dass sich die Vermögenssituation des Antragstellers verbessert hatte. Der Argumentation der Beschwerde, die Vollstreckung sei nur wegen einer offensichtlichen Aussichtslosigkeit unterblieben, verfängt daher nicht. Damit sind die aufgezeigten Umstandsmomente nicht entfallen und deshalb weist die Rechtsverfolgung in zweiter Instanz keine Erfolgsaussichten auf. Denn der Unterhaltsrückstand ist durch Zeitablauf verwirkt.